Alternative Bestimmungsfaktoren der Nachfrage nach Umverteilung85 3.3.1 Verhaltensbasierte Erklärungsansätze Im Rahmen verhaltensbasierter Erklärungsansätze werden primär Einstellungen, Überzeugungen und Wertvorstellungen betrachtet und deren Einfluss auf die individuelle Nachfrage nach Umverteilung analysiert. Allgemein bietet die Abgrenzung der unterschiedlichen Erklärungsansätze einen diskretionären Handlungsspielraum. So wird in der Literatur die Bedeutung kollektiver Ansichten den verhaltensbasierten Erklärungsansätzen zugeordnet, wenngleich Teilaspekte in einer engen Beziehung zum Ansatz von Piketty (1995) stehen. Zunächst sind kollektive Ansichten über die Gerechtigkeit der Marktergebnisse zu nennen. Alesina und Angeletos (2005) sowie Benabou und Tirole (2006) zeigen aus theoretischer Sicht, wie der Zusammenhang zwischen kollektiven Ansichten und Wohlfahrtspolitik zu multiplen Gleichgewichten führen kann. Ist eine Gesellschaft mehrheitlich der Auffassung, dass individuelle Anstrengungen das spätere Einkommen bestimmen und folglich das individuelle Wohlergehen in der Verantwortung eines jeden selbst liegt, führt dies zu einer geringeren Unterstützung für eine ausgedehnte Umverteilungspolitik. Im Gegensatz dazu wird eine Gesellschaft, in der Glück, der soziale Status oder Korruption von großer Bedeutung für die spätere Einkommensposition sind, eine größere Umverteilung eher befürworten, um die durch den Marktprozess entstehenden Ungleichheiten auszugleichen. Die These der Gerechtigkeit der Marktergebnisse findet in der empirischen Literatur auf breiter Front Unterstützung. Bspw. liefern Alesina et al. (2001), Alesina und La Ferrara (2005), Corneo (2001), Corneo und Grüner (2002) sowie Fong (2001; 2006) Evidenz hierfür. Unterstützung erfährt die empirische Evidenz auch von Seite der experimentellen Literatur. So weisen Fehr und Schmidt (2006) darauf hin, dass ökonomische Erklärungsansätze lediglich einen Teil der Varianz innerhalb der Präferenzen für Umverteilung erklären können. Daneben nehmen insbesondere Wertvorstellungen wie Fairness, Reziprozität und Altruismus ein bedeutendes Gewicht ein. Gemäß Fong (2001; 2006) äußert sich der Fairness- Aspekt dadurch, dass Menschen einen redistributiven Sozialstaat akzeptieren, wenn der Umstand der Bedürftigkeit von den Empfängern staatlicher Transferleistungen nicht selbst verursacht wurde, sondern von exogenen Faktoren abhängt. Diese Faktoren können z. B. Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder Arbeitslosigkeit sein. 85